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Interkulturelles Lernen in der Grundschule

Abschlussbericht von Frau Prof. Rösch (PH) zum Pilotprojekt des Lions-Clubs „Interkulturelles Lernen in der Grundschule“ am Clubabend in der Sparkasse am 14.03.2013.

Das Projekt richtete sich an Kinder in vier Karlsruher Grundschulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, die – so war es geplant – von der zweiten bis zur vierten Klasse an zwei Nachmittagen pro Woche von Studierenden der Pädagogischen Hochschule betreut werden. Gewählt wurden Schulen in allen vier Himmelsrichtungen: Werner-von-Siemens-Schule in der Nordweststadt, Pestalozzischule in Durlach im Osten, Leopoldschule in der Weststadt und Anne-Frank-Schule in Oberreut im Süden.

 

Angeboten wurden den Kindern an jeder Schule die Module Lesen und Stadterkundung. Die Gruppen sollten mindestens acht Kinder umfassen. Bewusst wurde auf ein Angebot ausschließlich für Kinder mit Migrationshintergrund verzichtet. Stattdessen stand interkulturelles Lernen im Fokus. Betreut wurden die Module von acht Studierenden (und einer Springerin), wobei je vier für das Modul Lesen und vier für das Modul Stadt zuständig waren. Das heißt, an jeder Schule waren jeweils zwei Studierende im Einsatz.

  • Im Modul Lesen wurden interkulturell relevante Bilderbücher unter inhaltlichen und literarischen Aspekten bearbeitet. Damit die Kinder die Handlung nachvollziehen konnten, wurde verzögertes Lesen praktiziert. Schlüsselszenen wurden szenisch interpretiert, Leerstellen oder sprachliche Mittel wurden durch textnahe Aufgaben bearbeitet. Dabei ging es darum das Weltwissen der Kinder einzubeziehen und zu erweitern. Die Kinder führten ein Lesetagebuch. Während im ersten Jahr mehrere Bilderbücher behandelt wurden, entschieden wir uns im zweiten Jahr für Ganzschriften „Gullivers Reisen“ von Erich Kästner und „Die Kurzhosengang“ von Zoran Drvenkar, was den Projektcharakter unterstützte.
  • Im Modul Stadterkundung wurden Aktivitäten überwiegend außerschulisch geplant und durchgeführt. Aufgesucht wurde das eigene Viertel, das Dörfle und die Universität, der Zoo, der Friedhof usw. Ziel war neben der Orientierung in der Stadt auch die Migrationsgeschichte der Stadt und ihre Veränderung im Zeitalter der Globalisierung zu erkunden. Dies sollte durch forschendes Lernen ermöglicht werden, wozu aber auch das Stadtplan lesen und erstellen gehörte und die Dokumentation des ‚Erforschten‘ in einem Stadttagebuch. Während im ersten Jahr die Umgebung erkundet wurde, arbeiteten wir im zweiten Jahr mit dem Badischen Landesmuseum zusammen und besuchten das Karlsruher Schloss und die Ausstellungen: Alltag und Kindheit im 19. Jahrhundert, Sammellust und Türkenbeute. Dadurch entstand auch hier ein zusammenhängendes Projekt.

Das Projekt verfolgte Ziele für zwei Gruppen: Bezogen auf die Kinder ging es um die Entfaltung der Lese- und (auch im Modul Stadterkundung) um die Schreibkompetenzen. Bezogen auf die Studierenden ging es um die Sensibilisierung für die Besonderheiten eines Unterrichts in multiethnischen und multilingualen Lerngruppen und die Ausbildung von Strategien für eine interkulturelle Gestaltung des Unterrichts.


Ein zweiter Aspekt war die Entfaltung interkultureller Kompetenzen zunächst bei den Studierenden. Lisa Fritzsche, eine Förderstudierende der Stadtgruppe der Werner-von-Siemens Schule im ersten Projektjahr, hat in wissenschaftlichen Hausarbeit den interkulturellen Ansatz unseres Projekts untersucht. Grob gesprochen gibt es drei Ansätze: einen kompensatorischen, der sich auf Kinder mit Migrationshintergrund konzentriert und diesen die ‚Integration in die deutsche Gesellschaft‘ ermöglichen will. Eine zweite Variante ist der Begegnungsansatz, bei dem es darum geht, Kinder unterschiedlicher Kulturen in einen Dialog zu bringen. Der dritte Ansatz setzt nicht auf die Differenz von Kulturen, sondern auf die Vielfalt in Lerngruppen, die durch kulturelle, soziale, sprachliche und viele andere Faktoren entsteht. Ein vierter Ansatz wäre der, die Migrationsgesellschaft mit ihren Formen der Ausgrenzung in den Blick zu nehmen. Lisa Fritzsche kam zu dem Ergebnis, dass die Diversitätshypothese als Grundrichtung des Projekts betrachtet werden kann. Denn die Kinder bringen der Vielfalt von Kulturen und Lebensführungen durch eine multiperspektivische bzw. mehrdimensionale Sicht auf die Welt Wertschätzung entgegen.


Sie erkannte aber auch ein zentrales Problem solcher Projekte, denn es ist schwer, die konkreten Angebote interkulturell zu konzipieren und umzusetzen und zwar mit Studierenden, die weder in ihrem alltäglichen Unterrichtshandeln, noch bezogen auf interkulturelles Lernen als kompetent zu bezeichnen sind. Vielmehr sind sie selbst interkulturell Lernende, die oft an ihre Grenzen stießen. Da interkulturelles Lernen keine Zielgruppenpädagogik ist, legten wir das Augenmerk auf die zu konzipierenden Etappen. Dabei zeigten sich immer wieder gravierende Probleme bezogen auf die Aufgabenstellungen und auch bezogen auf angemessene Reaktionen im Umgang mit interkulturell brisanten Situationen.


Zum Beispiel fiel es Studierenden leicht eine Erzählung wie „Bobo und Susu“ von Rafik Schami, die die Liebe zwischen Verschiedenen thematisiert, als interkulturell zu erkennen, während „Das Land der Ecken“, wo ein Kind die Enge seiner Umgebung aufbricht und sich die Fremde (Das Land der Kreise) hereinholt, schwieriger zu fassen war. Auch „Die Kurzhosenggang“ war komplexer zu verstehen, denn es geht um vier sehr unterschiedliche Jungs, die gemeinsame Erfahrungen aus einer sehr subjektiven Sicht erzählen, so dass ein individuelles Porträt entsteht und deutlich macht, dass die Gruppe nur deshalb so gut funktioniert, weil sie aus verschiedenen Menschen besteht.

 

Auch der Besuch im Zoo wird ja nicht dadurch interkulturell, dass man Tiere aus unter-schiedlichen Ländern kennenlernt, sondern dass man darüber redet, wohin der im Karlsruher Zoo lebende Eisbär gehört: in die Antarktis oder nach Karlsruhe. Die Asian-Läden sind nicht nur ‚für die Zugewanderten“, sondern dort kaufen auch Einheimische, sie sind ein Beispiel für die Internationalisierung des Essens.


Wie innovativ die Realisierung dieses Ansatzes ist, zeigt auch, dass unser Projekt für das Landesmuseum Pilotcharakter hatte, denn unsere Studierenden sollten die museumspädagogische Situation beurteilen. Für das Landesmuseum standen dabei Methoden und Inhalte einer spielerischen Sprachförderung im Zentrum, während es uns um die Möglichkeiten, interkulturelles Lernen zu initiieren, ging. Es wurde versucht, beides in einem Leitfaden „Museumsführungen“ zu integrieren. Die Auswertung zeigt auch hier Entwicklungsbedarf bezogen auf die interkulturelle Akzentuierung des Angebots. Sie enthält Verbesserungsvorschläge zur Einbeziehung der Kinder und kritisiert xenologische Reaktionen der Museuumspädagoginnen.


Projektverlauf


Geplant war, dass dieselben Studierenden und dieselben Kinder während 3 Jahren an dem Projekt teilnehmen. Beides konnte nicht erreicht werden. Es gelang zwar, wieder Studierende zu finden, als nach dem ersten Jahre fast alle aus dem Projekt ausstiegen, aber diese mussten neu eingearbeitet werden und waren auch für die Kinder neue Bezugspersonen.


Problematischer war die Zahl der Kinder in den einzelnen Gruppen. Bereits im ersten Schuljahr unterschritt an zwei Schulen die von den Geldgebern erwartete Zahl von acht Kindern pro Gruppe. Im zweiten Jahr gingen die Zahlen noch weiter zurück. Außerdem kamen die Kinder unregelmäßig, so dass unsere Studierenden ihre Arbeit zum Teil gar nicht anbieten konnten. Das führte zur Schließung dieser beiden Gruppen bereits nach den Pfingstferien und letztendlich auch zum Abbruch des gesamten Projekts Ende des Sommersemesters 2012.


Ein weiterer Grund für den Abbruch war die Tatsache, dass die wissenschaftliche Begleitung im Rahmen des vorgesehenen Budgets nur rudimentär durchgeführt werden konnte. Agnieszka Wolny musste sehr viel Zeit in die Koordination, vor allem die Vor- und Nachbereitung sowie die Unterstützung der Studierenden vor Ort investieren, so dass die geplante Begleituntersuchung nur in Ansätzen realisiert werden konnte. Nachdem ihre halbe Stelle an der PH auf eine 20% Stelle gekürzt wurde, war es nicht mehr vertretbar, dass sie das Projekt weiter betreut.


Dennoch betrachten wir dieses Projekt als Erfolg für die beteiligten Kinder und Studierenden. Fast alle Etappen wurden in allen Schulen durchgeführt, wie die tabellarischen Übersichten zu den durchgeführten Etappen in beiden Modulen zeigen.


Abschließender Kommentar und Empfehlungen


Wir bewerten das Projekt als sehr positiv hinsichtlich dessen, was mit den Kindern und auch den Studierenden erreicht wurde. So hat in der Wahrnehmung der Studierenden die Lesebereitschaft der Kinder deutlich zugenommen. Darüber hinaus wurde während der Schreibaufgaben beobachtet, dass regelmäßig anwesende Kinder schreibsicherer wurden und auch lernten, besser zu präsentieren und zu begründen.


Weniger zufrieden sind wir mit der angestrebten Entfaltung der interkulturellen Kompetenz bei den Kindern, was allerdings klar darauf zurückzuführen ist, dass unsere Studierenden von uns nicht ausreichend angeleitet wurden und es uns nur in Ansätzen gelungen ist, die nötige Sensibilität soweit auszubauen, dass die Studierenden interkulturell handlungsfähig sind. Dennoch bestätigen die meisten Studierenden, dass dieser Prozess in Gang gesetzt wurde. Wenn es gelungen wäre, die Studierenden über die geplanten drei Jahre im Projekt zu halten, wäre hier auch sicher ein größerer Erfolg zu verzeichnen gewesen.


Sicher ist auch die Etappenplanung zu optimieren. Hier wäre es sinnvoll professionelles Material zu den Kinderbüchern zu entwickeln. Bezogen auf die außerschulischen Lernorte hat sich die Kooperation mit Museumspädagoginnen sehr bewährt, was aber auch daran lag, dass sich die Aufgaben auf mehrere Personen verteilten und sich die Studierenden zumindest im Museum ‚nur‘ um die Kinder kümmern mussten.


Als sehr sinnvoll erwies sich die zunehmende Projektorientierung, das heißt, dass während der Projektphasen an einem fertigen Produkt gearbeitet wird. Das Lese- bzw. Stadttagebuch ist hier nur ein Anfang. Es wäre darüber nachzudenken, wie das Projekt in der Schule oder auch über die Schule hinaus dokumentiert werden kann.


Aufgrund der Tatsache, dass das Projekt aufgrund mangelnder Teilnahme vorzeitig abgebrochen wurde, empfehlen wir zukünftig eine engere Verzahnung mit dem Regelunterricht, eventuell sogar eine Integration solcher Angebote in den Regelunterricht. Sicher wird der Ausbau von Ganztagsschulen dazu führen, dass solche Angebote auch am Nachmittag verbindlicher wahrgenommen werden. Sinnvoll wäre die Durchführung von Projekttagen oder andere kompakte Formen wie Ferienkurse.